Komponentenkrise im Channel: Perfekter Sturm im Anmarsch
Die rasant steigenden Preise und zunehmenden Verknappungen wichtiger Komponenten wie DRAM, SSDs und HDDs sowie teils auch CPUs und GPUs machen dem Channel zunehmend zu schaffen. Angesichts des sich aufbauenden perfekten Sturms dürfte das jedoch erst der Anfang sein, zeigen sich viele Akteure gegenüber CRN überzeugt.
Als im Sommer erste Stimmen aufgrund sinkender Lagerbestände und einer Umkehr des seit Jahren anhaltenden Preisverfalls auf eine beginnende Verknappung bei Arbeitsspeicher und anderen Flash-Produkten hinwiesen, wischten die meisten Akteure in der IT-Branche diese Sorge noch als unbegründete Panik beiseite. Zu Unrecht, wie inzwischen fast jedem klar sein dürfte. Inzwischen hat sich die Lage zu einem ausgewachsenen Problem entwickelt, das niemand in der IT-Branche und im Channel mehr ignorieren kann.
Die RAM-Preise sind in den letzten Wochen förmlich explodiert, während die Verfügbarkeiten äußerst volatil sind. "Auf unserer Plattform sehen wir vor allem bei den Arbeitsspeichern eine deutlich spürbare Verknappung. Die Nachfrage nach RAM-Modulen ist im Laufe des Jahres klar gestiegen, gleichzeitig haben sich die durchschnittlichen Einkaufspreise unserer meistgeklickten Produkte zum Teil vervielfacht", berichtet Oliver Charles, General Manager der Handelsplattform ITscope, gegenüber CRN.
Und auch bei anderen Komponenten wie SSDs, HDDs, CPUs und GPUs zeichnet sich eine ähnliche Entwicklung ab. Die Folgen sind deutlich spürbar: Bei PC-Herstellern wie Dell und Lenovo stehen Preiserhöhungen um die 20 Prozent an und auch im Projektgeschäft gibt es deutliche Verschiebungen. "Diese Entwicklung ist im deutschen Channel inzwischen bei vielen Projekten angekommen", bestätigt Charles. Dabei dürfte das nach dem Dafürhalten der meisten der von uns befragten Hersteller, Distributoren und Reseller erst der Anfang sein.
Vom "Schweinezyklus" zum perfekten Sturm
Auch wenn der wachsende Hardwarehunger im Zuge des KI-Booms der wohl größte Effekt ist, sind die Ursachen für diese dramatische Entwicklung deutlich vielschichtiger. Im Grunde genommen begann das Problem bereits damit, dass die großen Speicherhersteller Samsung Electronics, SK Hynix und Micron Technologies im Zuge der letzten Speicherkrise vor sieben Jahren massiv in neue Fabs investiert und dadurch letztlich Überkapazitäten geschaffen haben. Wurden diese zunächst noch von den großen Hardwareeinkäufen während der Pandemie aufgesogen, entwickelten sie sich anschließend zum Problem für Hersteller und Handel, indem die Preise und damit auch die Margen ab 2023 auf Talfahrt gingen. Damit sank die Investitionsbereitschaft in neue Werke und die Verfügbarkeit wurde verknappt, sodass es angesichts der sehr stark steigenden Nachfrage nun zu Allokationen kommt.
"Nach der Überversorgung und dem extremen Preisverfall in 2023 haben Hersteller ihre Produktion massiv gedrosselt, um die Margen zu optimieren/retten. Das Angebot wurde knapp, was nun auf eine anziehende Nachfrage trifft", beschreibt Julia Mitterdorfer, Director Global Computing Components der TD Synnex DACH das "Lehrbuch-Beispiel" für den "Schweinezyklus", der aktuellen Entwicklung zugrunde liegt.
So richtig problematisch wird diese altbekannte, aber handelbare, Gemengelage nun allerdings durch eine außergewöhnlich hohe Nachfrage und einer Verschiebung bei den Produktgruppen, bei der mehrere Faktoren zusammenkommen. Hier spielt etwa die Ablösung von Windows 10 und die damit zusammenhängende Austauschwelle eine Rolle, genau wie die Zollstreitigkeiten, die Inflation und die schwierige wirtschaftliche Lage, in der viele Unternehmen ihre IT-Investitionen überprüfen und Budgets verlagern.
Große Verwerfungen bei Nachfrage und Produktkategorien durch den KI-Boom
Der größte Faktor ist jedoch der große Aufschwung rund um Künstliche Intelligenz, der zunehmend auch das Hardware-Geschäft antreibt. Er bringt das System gleich in mehrfach Hinsicht völlig aus dem Gleichgewicht. Einerseits sorgt das Rennen um den Bau neuer KI-Hochleistungsrechenzentren für einen nicht vorhergesehenen gigantischen Nachfrageboom. An der Speerspitze stehen hier insbesondere die großen Hyperscaler, Cloud- und KI-Anbieter. Besonders drastisch zeigt sich das am Projekt "Stargate" von OpenAI, für das sich der KI-Pionier bei den drei großen Speicherherstellern insgesamt rund 900.000 DRAM-Wafer pro Monat gesichert hat. Somit sind in nächster Zeit mehr als ein Drittel der weltweiten DRAM-Produktion allein für dieses Projekt reserviert. Zugleich stampfen auch andere Großkonzerne wie Amazon, Google, Meta, Microsoft und Nvidia derzeit diverse solcher KI-Gigafactories aus dem Boden.
Auch in Deutschland und Europa gibt es entsprechende Projekte, etwa von Schwarz Digits. Diese Entwicklung setzt sich fort bis in die Rechenzentren der Unternehmen, die entsprechend erneuert und ausgebaut werden, um auf die künftig erwarteten KI-Lasten vorbereitet zu sein. "Der massive Ausbau von KI-, Cloud- und Hyperscale-Infrastrukturen führt zu einem stetig hohen Bedarf an High-Performance DRAM wie HBM, aber ebenso zu steigender Nachfrage nach klassischem RAM und Flash, da bestehende Systeme modernisiert oder ersetzt werden", fasst Judith Öchsner, Vertriebsleiterin von DexxIT zusammen. Auch sie ist sich deshalb sicher: "Diese Dynamik weist nicht auf einen Zyklus hin, der sich bald normalisiert, sondern auf ein nachhaltig angehobenes Basisniveau."
Andererseits sorgt neben der reinen Nachfragemenge zugleich die von Öchsner angesprochene Verschiebung hin zu HBM für weitere Komplikationen, zumal hier gerade der Umstieg von HBM3E auf HBM4 ansteht. Um von den besonders vielversprechenden Margen in diesem Segment zu profitieren, richten die Hersteller ihre Produktionskapazitäten verstärkt darauf aus – zu Lasten anderer Bereiche, insbesondere bei Consumer-Produkten wie dem noch immer gefragten DDR4-RAM und seinem Nachfolger DDR5. Micron geht dabei sogar so weit, seine fast 30 Jahre alte und in der Breite deutlich bekanntere Consumer-Marke Crucial aufzugeben, um die Kapazitäten und Chips lieber für den lukrativeren KI-Sektor zu verwenden. Dort ist der Hersteller nach Schätzung von Vertriebspartnern bei HBM bereits für das komplette nächste Jahr ausverkauft.
"Neben dem Rückgang bei DDR4 haben Speicherhersteller auch die Produktion von DIMMs mit geringerer Kapazität eingestellt. Dies hat dazu geführt, dass der Gesamtspeicher in Servern erhöht werden muss, um die gleiche Anzahl an Kanälen für die Leistungsfähigkeit nutzen zu können", skizziert Jörg Strughold, President EMEA Components von Arrow Electronics, wie sich diese Entscheidungen mit einem Dominoeffekt auf weitere Bereiche auswirken. Das zeigt, dass die Verlagerung der Produktion zwar der Marge der Hersteller und den Ambitionen der Hyperscaler dienlich sein mag, für die meisten professionellen Infrastrukturen aber höchstens der sprichwörtliche Tropfen auf den heißen Stein ist oder gar einen negativen Effekt bedingt.
"Derzeit sind fast alle Kapazitäten der Speichertechnologien wie DRAM, NAND-Flash sowie HDDs und SSDs von Preisbewegungen betroffen", fasst Claudia Huber-Völkl, Head of Category Components bei Ingram Micro, die Situation zusammen. In Ermangelung von Alternativen bleibt den Kunden jedoch oft nichts anderes übrig, als die gestiegenen Preise zu bezahlen. "Die Nachfrage steigt, und das Bestellvolumen legt sogar noch deutlicher zu – ein Hinweis darauf, dass Speicherprodukte nicht nur häufiger, sondern auch zu höheren Preisen bestellt werden", beobachtet Dr. Oliver Charles von ITscope.
Speicherseen für KI führen zu Verknappungen bei SSDs und HDDs
Durch diese zusätzlichen Bedarfe und Entwicklungen wird aus der schwierigen Grundsituation ein perfekter Sturm, der die Folgen des Schweinezyklus potenziert. Zudem reißt dieser inzwischen auch schon andere Komponenten mit in den Strudel. Allen voran sind hier SSDs und HDDs zu nennen. "Die Hyperscaler (AWS, Azure, Google) sind die 'Wale' im Teich, die riesige Mengen an HDDs und Enterprise SSDs aufnehmen", so Julia Mitterdorfer von TD Synnex. Aber auch die zahlreichen kleineren Rechenzentrums-Aufrüstungen, mit denen Firmen sich datenschutzkonforme und KI-fähige souveräne Infrastrukturen aufbauen, spielen hier mit hinein.
Während klassische HDDs aufgrund ihres Preis-Leistungsverhältnisses besonders für die gigantischen Mengen an Cold- oder Nearline-Daten für die KI-Modelle benötigt werden, brauchen die Betreiber für andere Bereiche wie Hot-Storage, Caching oder Teile der Trainings-Pipelines die schnelleren Datenzugriffe von SSDs, insbesondere mit dem aktuellen hochdichten QLC (Quad-Level Cell) NAND-Flash-Speicher. Das Ergebnis: Viele Hersteller haben die SSD-Preise nach der Beobachtung von Mitterdorfer bereits "deutlich angehoben. Besonders High-Capacity NVMe Drives werden teurer, da die Lagerbestände abgebaut sind." Und auch "im Bereich Nearline-Storage (18TB, 20TB, 22TB+) ziehen die Preise an, da Hyperscaler wieder massiv Speicher für AI-Data-Lakes nachfragen".
Selbst der Gebrauchtmarkt wird von diesen Entwicklungen inzwischen voll getroffen. Einerseits schrumpft der Nachschub sowohl gebrauchter als auch neuer Komponenten, andererseits nutzen auch Unternehmen diese Quelle zunehmend als Alternative für Nach- und Aufrüstungen. So driften auch hier Angebot und Nachfrage derzeit auseinander.
Insbesondere beim für den Gebrauchtmarkt zentralen DDR4-RAM, wie Ben Craig, Managing Director von Bargain Hardware, CRN berichtet: "Die stärkste Entwicklung ist weiterhin bei DRAMs der Serverklasse zu verzeichnen, wo die Preise für DDR4-ECC seit dem Spätsommer um etwa 150–170 % gestiegen sind, was auf eine Kombination aus begrenzten Wafer-Starts, einer Priorisierung der Versorgung mit DDR5 und einer starken Nachfrage nach KI-Infrastruktur zurückzuführen ist, die die verfügbaren Lagerbestände aufsaugt." Gleiches gelte allerdings auch für Unternehmensspeicher, dort "beobachten wir im Quartalsvergleich zweistellige prozentuale Steigerungen, wobei bestimmte SKUs mit hoher Kapazität am schnellsten wachsen".
CPUs und GPUs
Nicht ganz so problematisch schildern die von uns befragten Branchenexperten indes die Lage bislang bei CPUs und GPUs, obwohl diese ebenfalls sowohl auf den Einkaufslisten der Hyperscaler als auch der kleineren Rechenzentrumsbetreiber und anderer Unternehmen stehen und teils Flash-Speicher benötigen. Während manche nur marktübliche Schwankungen beobachten, sehen andere auch hier Zeichen von Verknappungen.
"Bei CPUs und Grafikkarten fällt das Bild deutlich weniger dramatisch aus. Hier erkennen wir zwar normale Schwankungen, aber keine flächendeckende 'Krise', wie wir sie aktuell im RAM-Bereich beobachten. Aus unserer Sicht handelt es sich daher eher um eine klar abgegrenzte Knappheit im Speichermarkt als um einen breiten Einbruch im Komponentenmarkt", berichtet IT-Scope-Experte Charles. Eine Schlussfolgerung, die Mitterdorfer aus Sicht von TD Synnex nur bedingt teilt, wenn sie berichtet: "Bei Intel und AMD Server-CPUs sind die Preise stabil bis steigend, aber die Verfügbarkeit bei Top-Binning-Modellen ist das eigentliche Thema." Ebenso hätten die Hersteller bei GPUs und Grafikkarten dem Distributor "bereits signalisiert, dass es ebenfalls Preisanpassungen nach oben geben wird, da die Knappheiten im Speicher auch die Produktion von Grafikkarten beeinflusst".
Somit stellt sich die Lage bei den Prozessoren noch deutlich entspannter dar als bei den Speicherprodukten. Da sich die Lage bei Letzteren allerdings nach Ansicht der meisten von uns befragten Channel-Vertreter aufgrund der ungebremst weiter steigenden Nachfrage noch weiter zuspitzen dürfte, könnte das auch bei GPUs und CPUs noch zu weiteren Verwerfungen führen.
Auswirkungen und mögliche Reaktionen:
Wie sich das alles schon jetzt auf das Tagesgeschäft im Channel auswirkt, von Hamsterkäufen bis Projektpausen, welche Maßnahmen Distributoren, Systemhäuser und Fachhandel ergreifen können, und wie lange die Verknappungen nach Ansicht der Partner noch anhalten könnten, lesen sie im zweiten Teil unseres CRN-Reports: Komponentenkrise: "Ware im Regal ist im Zweifel mehr wert als Geld auf dem Konto".
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