Komponentenkrise: "Ware im Regal ist im Zweifel mehr wert als Geld auf dem Konto"

Ein "normaler Schweinezyklus" mit extremen Preisausschlägen ist das nicht, was sich seit einigen Monaten im Chip- und Speichermarkt abspielt. Aussitzen funktioniert dieses Mal nicht. Wie sich Systemhäuser und Fachhändler auf diese strukturelle Krise einstellen können, wollte CRN von Branchenkennern wissen.

Komponenten-Distributoren sind sich einig: Die angespannte Lage bei Preisen und Verfügbarkeiten wird das gesamte Jahr 2026 anhalten: Julia Mitterdorfer (TD Synnex), Jörg Strughold (Arrow Electronics) und Judith Öchsner (DexxIT) v.l.n.r.

Die von CRN befragten Komponenten-Experten aus der Distribution sind sich einig: Die massiven Preissteigerungen der letzten Monate folgen dieses Mal nicht einem üblichen "Schweinezyklus", sondern sind die Folge eines strukturellen Wandels: dauerhaft höhere Nachfrage trifft auf eine Verschiebung der Produktionskapazitäten, wie Experten CRN im Teil 1 unserer Recherche zur Krise im Komponentenmarkt berichten.

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Mit einer Entspannung bei Preisen und Verfügbarkeiten ist im gesamten nächsten Jahr nicht zu rechnen. Komponenten bleiben knapp, die Preise mögen schwanken, sie bleiben sehr wahrscheinlich auf einem hohen Niveau.

Entspannung erst 2027 – wenn überhaupt

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"Unternehmenskunden werden nicht darum herumkommen, dringend benötigte Investitionen in ihre Hardware zu tätiger und höherer Preise schlucken zu müssen". Michael Christlmaier, Ecom (Foto: Ecom)

"Wann mit einer Marktentspannung zu rechnen ist können wir nicht absehen. Viele Hersteller gehen davon aus, dass sich die Lage erst ab 2027 wieder beruhigen könnte", sagt Michael Christlmaier, Sales Director Central Europe beim Distributor Ecom. So sieht das auch Julia Mitterdorfer, Director Global Computing Components DACH bei TD Synnex. "Aus Sicht der Global Computing Components – der TD SYNNEX Spezialist - haben wir das 'Tal der günstigen Preise' verlassen. Wir rechnen für das gesamte Jahr 2026 mit einem hohen Preisniveau, eventuell mit leichten Anstiegen in Q2/Q3. Eine echte Entspannung ist erst zu erwarten, wenn neue Fabs online gehen oder sich der HBM-Hype normalisiert. Das sehen wir eher erst 2027".

Lagermanagement: "Pipeline von mindestens einem Jahr, besser zwei Jahre"

Um Projekte überhaupt realisieren zu können, ist Verfügbarkeit oberstes Gebot. Fachhändlern rät Ecom-Manager Christlmaier sich "einen kleinen Vorrat an DRAMs, SSDs und Festplatten anzulegen", Kunden bei der Angebotsabgabe auf die Marktsituation hinzuweisen und die Preisentwicklung genau zu beobachten. "Unternehmenskunden werden nicht darum herumkommen, dringend benötigte Investitionen in ihre Hardware zu tätigen und die höheren Preise schlucken zu müssen", so Christlmaier.

Ob ein "kleiner Vorrat" ausreicht, ist natürlich abhängig vom jeweiligen Volumen des Geschäftsumfangs. "Wir haben in der Vergangenheit beobachtet, dass Kunden nicht immer ihren Bestellhorizont anpassen, sobald die Situation angespannter wird. Die Reaktion besteht in der Regel eher darin, den unmittelbaren Bedarf zu erhöhen, was dann durch den bekannten Bullwhip-Effekt zu einer Verschärfung der Allokation führt", skizziert Jörg Strughold, President EMEA Components bei Arrow Electronics. Er rät Kunden, "stets eine Pipeline von mindestens einem Jahr, besser noch von zwei Jahren, vorzuhalten".

Wenn sie es sich denn mit Blick auf ihre Liquidität leisten können. Denn gute Verfügbarkeit bindet Kapital und kosten Geld. Ist aber zwingend nötig, um Geschäfte überhaupt realisieren zu können. "Ware im Regal ist im Zweifel mehr wert als Geld auf dem Konto", bringt es Julia Mitterdorfer, Director Global Computing Components DACH bei TD Synnex, auf den Punkt.

Außerdem rückt sie das "Erwartungsmanagement" in den Vordergrund, sprich: Kunden mit ins Boot zu holen. "Kommunizieren Sie mit Kunden proaktiv, dass Speicherpreise tagesaktuell und oftmals nur für den Tag gültig sind und bauen Sie Preisgleitklauseln in langfristige Verträge ein", rät sie Resellern und Systemhäusern.

Planung statt Panikkäufe

"Erweitern Sie Ihren Lieferantenstamm: Sich auf ein oder zwei Distributoren zu verlassen, ist in diesem Markt zu riskant". Ben Craig, Bargain Hardware (Foto: Bargain Hardware)

Hinzu kommt eine vorausschauende Planung gerade beim Projetgeschäft. Neben Preis- und Lieferzeitbewegungen sollten Fachhändler frühzeitig mit ihren Kunden über alternative Konfigurationen der Geräte sprechen. "Mögliche Budget- oder Terminänderungen sollten Kunden gegenüber transparent dargestellt werden können", sagt Judith Öchsner, Vertriebsleiterin bei dexxIT. "Eine enge Abstimmung mit uns als Distributor ist entscheidend, um Alternativen, Lieferoptionen oder Risiken rechtzeitig zu besprechen".

Da der Komponentenmarkt von einem strukturellen Wandel geprägt ist, kann man die Preis- und Verfügbarkeitskrise nicht einfach aussitzen und auf bessere Zeiten hoffen. Die kommen mit Blick auf Preise und Bestände nicht zurück.

"Gehen Sie nicht davon aus, dass sich die Verfügbarkeit von Woche zu Woche verbessert", sagt Ben Craig, Managing Director von Bargain Hardware gegenüber CRN. Überstürzt agieren bringt also nichts. "Vermeiden Sie Panikkäufe", rät er. Vielmehr sollten Händler mehr Bezugsquellen öffnen. "Erweitern Sie Ihren Lieferantenstamm: Sich auf ein oder zwei Distributoren zu verlassen, ist in diesem Markt zu riskant", so Craig.

Eine mögliche Erweiterung der Bezugsquellen könnte die Einbeziehung gebrauchter Komponenten sein. "Ziehen Sie hochwertige generalüberholte Produkte gegenüber neuen Produkten in Betracht", rät der Chef von Bargain Hardware.

Vorsicht bei Refurbished!

Der Remarket ist sicher eine Alternative, allerdings mit Risko behaftet, wenn der Fachhändler seine Bezugsquelle nicht kennt und keine Erfahrungen hat. Überhaupt: Das Vertrauen zu neuen Lieferanten ist essenziell. "In Asien werden oft alte Server-Chips 'refurbished' und als neu verkauft. Diese fallen im 24/7 Betrieb schnell aus", gibt Julia Mittendorf von TD Synnex zu bedenken. Sie beobachtet auch, dass oft OEM-Ware ohne Herstellergarantie für den Endkunden als Retail verkauft.

Sicherheit nur bei autorisierten Distributoren

Quellen, die weit unter EK der Distribution anbieten? "Angebote können mögliche Risiken bergen in Bezug auf Produktherkunft, Qualität oder Garantie", warnt Claudia Huber-Völkl, Head of Category Components bei Ingram Micro (Foto: Ingram Micro)

Profiteure gibt es in jeder Verfügbarkeitskrise von Handelsware – man denke nur an dubiose Anbieter von FFP2-Masken während der Corona-Pandemie. Nicht anders ist es bei IT-Komponenten: In jeder Phase von Knappheit und hoher Nachfrage gibt Angebote im Markt, die deutlich unter EK der Distributoren liegen.

"Reseller sollten immer besonders vorsichtig sein. Diese Angebote können mögliche Risiken bergen in Bezug auf Produktherkunft, Qualität oder Garantie", warnt Claudia Huber-Völkl, Head of Category Components bei Ingram Micro. "Häufig stammen diese Angebote nicht direkt aus autorisierten Quellen oder sind gar dem Risiko von gefälschten Bauteilen ausgesetzt", merkt Jörg Strughold von Arrow Electronics an.

Händler sollten auf Folgendes achten, rät Ben Craig, Managing Director von Bargain Hardware:

Garantie und RMA wichtig

"Auf ITscope verkaufen ausschließlich geprüfte Distributoren und Hersteller. Händler können Preisverläufe, Lagerbestände und Verkaufstrends pro Produkt nachvollziehen. In einer Marktphase wie dieser ist das ein großer Vorteil, um Angebote realistisch einzuschätzen und sauber zu entscheiden". Oliver Charles, General Manager bei ITscope. (Foto: ITscope)

Einig sind sich alle von CRN befragten Lieferanten: Der Einkauf über autorisierte Vertriebskanäle stellt sicher, dass Produkte original, geprüft und mit vollständigen Herstellergarantien geliefert werden und schützt sowohl Reseller als auch deren Kunden. "Wichtig ist, dass Händler auf autorisierte Bezugsquellen achten und dass Garantie- und RMA-Prozesse gesichert sind. Fehlt diese Absicherung, trägt der Händler im Problemfall das Risiko", sagt Oliver Charles, General Manager bei ITscope.

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