Ein Amthor, ein Top-Manager, eine Bär: Die 100-Tage-Bilanz der nationalen Digitalköche
Taten statt Traktate: Nun soll sie endlich kommen die Staatsmodernisierung durch Digitalisierung. Redakteur Dominik Mohilo zieht eine Bilanz der 100-Tage-Bundesregierung. Wäre er in diesem Fall Auftragsschreiber, er hätte einen Satz besser weggelassen: noch rund 1.300 Tage Zeit bleiben der Koalitionsregierung Merz, die Digitalagenda umzusetzen und einen Wirtschaftsaufschwung herbeizuführen.
In China sollen sie Krankenhäuser, mehr als 30.000 Quadratmeter und rund 1.000 Betten, in einer Woche bauen und in Betrieb nehmen können. In Deutschland schafft man in dieser Zeit maximal die Anfertigungen von Kopien der Anträge für diverse Behörden und Ämter - nachdem schon einige Jahre mit der Planung und dem Befüllen der Formulare draufgegangen sind. Boostern nach chinesischer Art könnten sich Amthor, Bär & Co wenigstens ein bisschen zum Vorbild nehmen. Amthors Chef, Bundesminister Karsten Wildberger, hat zwar endlich ein Digitalministerium. Ironie der Geschichte: Der Ex-CEO von Ceconomy (Media Markt / Saturn) darf nun von Berlin aus zusehen, wie die Chinesen seinen einstigen Arbeitgeber in die Zukunft des KI-gestützt Digitalhandels führen werden.
Auch wenn einige Techbros in den USA den Staat wie einen Konzern führen und gewählte Regierungschefs am liebsten durch CEOs ersetzen wollen: Deutschland ist keine AG und wird auch künftig nicht nach Shareholder-Value für einige wenige geführt. Freilich: Das Bundeskabinett ist keine Expertenregierung, Wildberger vielleicht ausgenommen. Der Bundesdigitalminister darf, bzw. muss Schluss machen mit dem früheren Kompetenzwirrwarr in Sachen Staatsdigitalisierung. Weisungen geben, statt Empfehlungsminister zu spielen, darauf wird es ankommen. Noch agiert er defensiv, aber er hat ja noch, wie Dominik Mohilo in seinem 100-Tage-Digitalpolitik-Fazit unter Bundeskanzler Friedrich Merz schreibt, 1.300 Tage Zeit für die Staatsmodernisierung.
Sofern die Regierung hält oder besser: durchhält. Der Bahn, Auto oder Fahrrad fahrende Bundesbürger ist ob der Infrastruktur sehr bescheiden geworden, aber ein bloßes Durchhalten der Koalitionäre schon als Erfolg zu feiern, wäre dann doch zu unambitioniert. Man darf, sollte und muss wohl mehr Taten von Politikern und Politikerinnen in Staatsämtern verlangen.
Immerhin: Techredakteur Dominik Mohilo von der Münchner Agentur PR-COM (die weder im Lobbyregister auftaucht, noch - nach bestem Wissen der CRN - Philip Amthor Unternehmensanteile in Aussicht gestellt hat) sieht einige Lichtblicke der schwarz-roten Regierung in diesen ersten rund drei Monaten im Themenbereich "Digitale". Hier sein Zwischenfazit.
Nächste Seite: Wie Wildberger, Bär und Wirtschaftsministerin Katherina Reiche miteinander können …
Digitalministerium: Kompetenzgerangel wie eh und je
Eine zentrale Forderung von Verbänden wie dem Bitkom, Expertinnen und Experten der Tech-Branche sowie zahlreichen Journalisten war die Schaffung eines Digitalministeriums. Mit dem Koalitionsvertrag wurde dieses Versprechen als dringend einzuhaltendes Ziel festgelegt. So kam es erfreulicherweise dann auch, gegründet wurde das Bundesministerium für Digitales und Staatsmodernisierung (kurz: BMDS). Die Leitung hat Dr. Karsten Wildberger übernommen.
Zudem hat das Kabinett Merz ein weiteres Ministerium geschaffen, nämlich das Bundesministerium für Forschung, Technologie und Raumfahrt (kurz: BMFTR) unter der Leitung von Dorothee Bär. Es bleibt abzuwarten, ob die Ministerien, deren Einflusssphären sich in Teilen deutlich überschneiden, zukünftig gut zusammenarbeiten. Laut aktuellen Berichten gibt es bereits deutliches Kompetenzgerangel zwischen Wildberger, Bär und der Wirtschaftsministerin Katherina Reiche. Merz sollte hier schnellstmöglich für Klarheit im Hinblick auf die Zuständigkeiten und Verantwortungsbereiche schaffen, denn wenn Deutschland auf eines verzichten kann, dann sicher auf innerpolitische Grabenkämpfe, die das Thema Digitalisierung nur weiter verzögern.
Glasfaser und Mobilfunk: fast keine Funklöcher mehr
Wie eine Studie des PR-COM Research Lab Anfang des Jahres zeigte, beschäftigt Deutschland das Thema Glasfaserausbau bereits seit 1981. Noch nicht ganz so lange im Gespräch, aber mindestens genauso wichtig ist der Mobilfunkausbau. Beide Breitbandtechnologien sind essenzielle Bestandteile einer zukunftsfähigen digitalen Infrastruktur und bilden sozusagen ihr Rückgrat. Gerade die Abdeckung im Mobilfunk ist in den letzten Jahren stetig gestiegen. Die gute Nachricht ist, dass fast keine Funklöcher in Deutschland mehr existieren. Das Digitalministerium wollte es allerdings genau wissen und hat daher bereits Ende Mai die Kampagne "#CheckDeinNetz" ins Leben gerufen, um ein umfassendes Bild der Versorgung mit Mobilfunk hierzulande zu bekommen – aus Nutzerperspektive. Aus den rund 200 Millionen generierten Messpunkten leitete sich ab, dass weniger als die Hälfte der Menschen (47 Prozent) bereits 5G nutzen. Die Mehrheit hat nur Zugang zum veralteten 4G-Mobilfunkstandard.
Diese Faktenlage sowie der auch nach knapp 45 Jahren noch schleppend vorangehende Glasfaserausbau haben das BMDS dazu veranlasst, eine Anpassung des Telekommunikationsgesetzes einzureichen. Ziel des am 17. Juli vorgelegten Eckpunktepapiers war es, den Ausbau des Glasfaser- und Mobilfunknetzes zu einem "überragenden öffentlichen Interesse" hochzustufen. Die Gesetzesänderung trat am 30. Juli in Kraft und ebnet somit den Weg zu schnellerem Internet für alle Bundesbürger. Durch diese Regelung, so der praktische Effekt, muss die Regierung bei allen Entscheidungsverfahren nun auch den Ausbau der digitalen Infrastruktur immer berücksichtigen.
Hightech-Agenda: "Made in Germany" wieder Markenzeichen
Ebenfalls am 30. Juli verkündete Dorothee Bär die Hightech-Agenda Deutschland und versucht damit ihrer Rolle als First-Tech-Lady Deutschlands gerecht zu werden. Erklärtes Ziel – und das kann nicht oft genug betont werden – ist die Förderung von sechs Schlüsseltechnologien: Künstliche Intelligenz, Quantentechnologien, Mikroelektronik, Biotechnologie, Fusion und klimaneutrale Energieerzeugung sowie Technologien für klimaneutrale Mobilität (eMobility). Das Thesenpapier enthält neben Details zu den Forschungsfeldern und einer Übersicht potenzieller und realistischer Projekte auch sogenannte Hebel für die praktische Umsetzung. So möchte das BMFTR den Wissens- und Technologietransfer beschleunigen, Innovationsakteure von kleinteiliger Förderbürokratie entlasten sowie neue Finanzierungsmöglichkeiten schaffen. Außerdem sollen neue Fachkräfte gewonnen und die europäische sowie internationale Zusammenarbeit ausgebaut werden.
Was das Bär-Ministerium anstrebt, ist, Technologien und Innovationen "Made in Germany" wieder zum Markenzeichen zu machen, so der Marketing-Claim. Dadurch sollen Top-Talente, Investoren und innovative Unternehmen animiert werden, in deutsche Technologie und Infrastruktur zu investieren. Natürlich steckt diese Initiative noch in den Kinderschuhen, wurde aber bereits vom Bundeskabinett beschlossen und stellt die Weichen für eine Neuausrichtung der Forschungs-, Technologie- und Innovationspolitik. Ein guter Ansatz, der uns hoffentlich auf den Gebieten dieser Schlüsseltechnologien voranbringen wird.
EUDI – oder: die totale Überwachung
Ein weiterer wichtiger Punkt der Regierung Merz war es von Anfang an, die Verwaltung zu entschlacken und zu digitalisieren. Seit 30. Juli hat das Bundeskabinett dafür den neuen Staatssekretärsausschuss "Staatsmodernisierung und Bürokratierückbau" eingesetzt. Er ist dem BMDS unterstellt, die Leitung hat Philipp Amthor. Behördengänge ohne Schriftform, Steuererklärungen online, ein zentraler "One-Stop-Shop" im Web für antragslose Verfahren wie Kindergeld oder Sozialleistungen standen und stehen auf der Agenda. Dafür, so der Koalitionsvertrag, soll jeder Bürger und jede Bürgerin verpflichtend ein Bürgerkonto und eine digitale Identität erhalten.
Dafür will die Bundesregierung das EUDI-Wallet (European Digital Identity Wallet) für Privatpersonen und Unternehmen bereitstellen, mit der "Identifikation, Authentifizierung und Zahlungen ermöglicht werden". Das liest sich auf den ersten Blick praktisch und harmlos. Und ja, es ist wichtig, dass in Deutschland die Bürokratie an vielen Stellen rationalisierter wird. Doch diese zunächst positiv wirkende Entscheidung hat auch eine Schattenseite.
Denn die Verpflichtung zur digitalen Identität öffnet im gleichen Atemzug Tür und Tor für die Überwachung der Bürgerinnen und Bürger. Außerdem wird das Recht auf eine analoge Lebensführung damit konkret abgeschafft. Der Verbraucherschutz warnt bereits jetzt vor massivem Tracking beim EUDI-Wallet.
Mühsam ernährt sich das digitale Eichhörnchen
Doch bevor Bürgerinnen, Bürger und Unternehmen auf digitale Verwaltungsservices zugreifen können, müssen diese erst einmal geschaffen werden. Die Regierung hat daher die Realisierung der Deutschen Verwaltungscloud im Koalitionsvertrag festgehalten. Sie ist seit Anfang April 2025 fester Bestandteil des IT-Planungsrates, eigerichtet wurde dafür eine eigene Koordinierungsstelle. Für Bund und Länder stehen mittlerweile 30 Cloud-Services zur Verfügung, unter anderem für digitale Signaturen, sicheren Datenaustausch und auch für wichtige Vorgänge des Alltags wie Baumfällgenehmigungen, die Hundesteuer oder Fischereischeine. Auch gegen die Cookie-Flut hat die Regierung Maßnahmen ergriffen. So gilt seit 1. April eine Verordnung, die einen Rechtsrahmen für ein alternatives Verfahren setzt, das weniger Klicks und Einwilligungen nötig machen soll. In der Praxis hat sich allerdings an den Pop-ups zur Cookie-Verwaltung gefühlt gar nichts getan.
Abschließend ist zu sagen, dass 100 Tage für ein abschließendes Arbeitszeugnis über die Ägide Merz I natürlich viel zu früh sind: Immerhin hat die aktuelle Bundesregierung – sofern es nicht zum Bruch der schwarz-roten Koalition kommt – noch rund 1.300 Tage das Heft des Handelns in der Hand. Zeit genug, um neue Initiativen zu starten, Fördergelder in die vielen offenen Projekte und Baustellen zu pumpen und die Digitalisierung sowie die Digitale Souveränität auszubauen. Der Beginn allerdings ist durchaus vielversprechend.
Vor allem die Investition in den Glasfaser- und Mobilfunkausbau sowie Zukunftstechnologien wie KI und Quantencomputing, sind wichtige Weichenstellungen für unser Land. Eine komplette digitale Unabhängigkeit innerhalb der nächsten vier Jahre ist ob der erdrückenden Dominanz der Big Player aus den USA und China zwar reine Utopie, doch die Regierung Merz hat, so scheint es jedenfalls, die Zeichen der Zeit erkannt.