Digital-souveräne Behörden: Man könnte, wenn man sich unabhängig von Microsoft machen wollte
Nach zehn Jahren beendet Dataport das Programm Phoenix, mit dem der kommunale Dienstleister Office-Anwendungen aus Open-Source-Lösungen für Behörden verfügbar machen sollte. Fazit: Technisch möglich, wirtschaftlich ein Flop. Oder doch nicht, wenn man bedenkt, was auf dem Spiel steht? Bayern wischt digitale Souveränität vom Tisch.
Bei Dataport ist man nicht zerknirscht, dass es mit der auf Open-Source basierenden Office-Version eines digitalen Verwaltungsarbeitsplatzes nichts wird. Von einem Flop will der IT-Dienstleister der öffentlichen Hand nichts wissen. Die Pressemitteilung zur Einstellung des digital souveränen Arbeitsplatzes für Behörden ("Programm Phoenix" mit der "dPhoenixSuite") folgt gängiger Muster der PR-Schönschreiberei: wegen überragendem Erfolg eingestellt.
Beziehungsweise abgeschoben an den nächsten öffentlichen Träger, dem Zentrum für Digitale Souveränität (ZenDiS). Die vollständig dem Bund gehörende GmbH wurde Ende 2022 vom Bundesministerium des Innern und für Heimat (BMI) gegründet. Zu Geschäftsführern bestellt sind Alexander Pockrandt und die ehemalige Lancom-Managerin Pamela Krosta-Hartl.
Dataport klopft sich einstweilen auf die Schultern: Man habe Pionierarbeit geleistet, Impulse für die digitale Souveränität gesetzt, Innovationspotenzial gehoben, aus "strategischen und prozessualen" Fehlern bei der Produktentwicklung sei man gestärkt hervorgegangen. Im Markt erfolgreiche Open-Source-Lösungen habe man technisch miteinander integrieren und unter einer einheitlichen Benutzeroberfläche zugänglich gemacht. Freilich habe man als First Mover Lehrgeld gezahlt, "aber gleichzeitig auch für kommende Vorhaben eine Menge für sich im Interesse seiner Träger und Kunden mit auf seinen weiteren Weg mitgenommen".
Bund kappte Mittel
Die aufgelaufenen Verluste in der Bilanz lassen sich dagegen nicht schönrechnen: wirtschaftlicher Verlust von 90 Mio. Euro, so Dataport. Entstanden durch einen Mix aus später "gründlich aufgearbeiteten Fehlern in der Durchführung des Projektes" und infolge einer "strategischen Umorientierung des Bundes".
Klartext: Gelder in vorher vereinbarter Höhe flossen nicht, die Bereitschaft zur Mitfinanzierung und einer entsprechenden Beteiligung an dem Vorhaben habe sich "als eine echte Herausforderung dargestellt". Schuld daran sei der Angriff Russlands auf die Ukraine im Februar 2022 gewesen. "In Folge wurden Haushaltsmittel für den souveränen Arbeitsplatz reduziert und in die Verteidigungshaushalte umgesteuert, weil der Bund "grundlegende Sicherheitsaspekte in den Mittelpunkt" gestellt habe, schreibt Dataport.
Die gekappten Zuschüsse sind das eine, das andere ist, dass die Verwaltungen auf die dPhoenixSuite schlicht nicht ansprangen und sich die Erlöserwartungen "nicht wie ursprünglich geplant" erfüllten.
Man kennt das Kundenverhalten aus früheren Lösungen wie der Microsoft Deutschland Cloud mit dem Treuhänder Deutsche Telekom. 2018 wurde das Modell wieder eingestellt. Nur wenige Kunden wollten einen Aufschlag von rund einem Viertel für Microsofts Deutschland Cloud bezahlen, die den Zugriff Dritter, vor allem US-Behörden (Cloud-Act), unmöglich machte.
Sieben Jahre später in der 2. Amtszeit von US-Präsident Trump und der KI-Welle könnte die Bereitschaft vielleicht höher sein, digitale Souveränität anzugehen und für die technologische Unabhängigkeit auch mehr auszugeben. Obwohl Hersteller Cisco betont, dass seine vom Internet gekappten Lösungen (Air Gap) nicht teurer seien als vergleichbare Infrastrukturen, die nicht dezidiert unter digitaler Souveränität angeboten werden, wie Cisco-Deutschland-Chef Uwe Peter unlängst gegenüber CRN klarstellte.
Bayern schert aus
Klar positioniert hat sich die Staatsregierung in Bayern. Das Finanzministerium des Freistaats soll Medienberichten zufolge mit Microsoft in Verhandlungen über ein Enterprise Agreement stehen. Ziel sei es, dass alle Ministerien und Behörden die Cloud-Dienste von Microsoft nutzen sollen. Ein Kommunalvertrag soll auch den Einsatz von Microsoft 365 in den Verwaltungen der Städte und Gemeinden möglich machen.
Gegen den Plan "Zunftskommission 5.0" des Finanzministeriums in Bayern regt sich indes Widerstand. IT-Unternehmer, deutsche Softwarehersteller und die Open Source Business Alliance Bundesverband für digitale Souveränität e.V. (OSBA) haben einen offenen Brief gegen die aus ihrer Sicht "Zwangseinführung" von MS365 veröffentlich und zur Mitunterzeichnung aufgerufen (endete am 10. November 2025).
Sie führen Datenschutzbedenken, das Umgehen von Ausschreibungen, hohe Kosten sowie eine gezielte Diskreditierung von Open-Source-Alternativen wie OpenDesk von ZenDiS ins Feld. "Immer wieder berichten bayerische Unternehmen von einer gezielt gesetzten Mauer bei Ausschreibungen und Gesprächen, weil die US-Konzerne bereits gesetzt sind. Die Mühe einer nachvollziehbaren Marktanalyse hat man sich bei der Zukunftskommission erst gar nicht gemacht, weshalb auch völlig unklar ist, wie viel der Ausbau existierender Lösungen auf das Niveau der milliardenschweren US-Clouds kosten würde. Weite Teile der bayerischen Softwareindustrie sind erbost und fühlen sich erneut übergangen – sieht so die Zukunft der Digitalisierung in Bayern aus?", heißt es von den Initiatoren.
Investition in ein freies Europa
In der IT-Branche sorgt Dataport mit Aus für Projekt Phoenix für unterschiedliche Reaktionen. Sind 90 Mio. Euro Verlust für die Entwicklung einer Open-Source-Office-Suite fehlgeleitete Verschwendung von Steuergeldern? Oder eine vergleichsweise geringe Summe, wenn man überlegt, dass nichts Geringeres als die Abhängigkeit von den Launen einer unberechenbaren US-Regierung auf dem Spiel steht, die einen US-Hersteller wie Microsoft zur Abschaltung von IT-Diensten für gewisse Kunden drängen kann?
Die Regierung in Bayern sieht darin offenbar kein Risiko. Andere Bundesländer schon wie etwa Schleswig-Holstein, die Open-Source aktiv fördern und entsprechende Applikationen wie LibreOffice als Alternative zu Microsoft für die Verwaltungen einsetzen wollen.
"Phoenix war der Beweis im Labor, dass es technisch geht. OpenDesk ist der Beweis in der Praxis, dass es wirtschaftlich und nachhaltig funktionieren kann. Ohne Prototyp kein Produkt. Ohne Phoenix kein OpenDesk. Und ohne OpenDesk keine souveräne digitale Zukunft. Und ohne digital souveräne Zukunft kein selbstbestimmtes Europa. Kein selbstbestimmtes Europa ist kein freies Europa", kommentiert Jendrik Stahnke, DevOps-Entwickler bei Solero Technologies die Dataport-Meldung.
Er sieht den Verlust von 90 Mio. Euro Entwicklungskosten für initiales Prototyping für eine digitalsouveräne Office-Lösung von Dataport, fortgeführt von ZenDiS als OpenDesk, als eine Investition für ein freies Europa.
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