"Ich habe eine tiefe Dell-Seele"
Das war nicht immer so, verrät Netgo-Manager Rolf Braun, Dell-Partner der ersten Stunde, im CRN-Gespräch. Über Grauschattierungen im spannungsgeladenen Vertrieb zwischen Direkt- und Partnergeschäft, brüchige Loyalitäten im Channel und dreiste Manager.
Dell lockt seine Vertriebsmitarbeiter mit mehr Geld, wenn sie Storage-Projekte nicht mit Kunden direkt abschließen, sondern Partner mit ins Boot holen. Die CRN-Meldung von letzter Woche hat Rolf Braun nicht überrascht. Er lächelt, nimmt sich Zeit für ein Interview und blickt zurück in die 90er Jahre, als er beim 1990 gegründeten Systemhauses Cema startete. Eine sentimentale Rückschau auf über 30 Jahre History-Channel nach dem Motto "Opa erzählt vom Krieg" folgt in den kommenden 60 Minuten keinesfalls. Aber um heute besser zu verstehen, warum Technologiekonzerne ihre Vertriebe mal auf Direktgeschäft, mal auf Partner ausrichten, und beide Modelle oft parallel, hilft der Blick zurück. Ins Jahr 1995.
Dell hat es im bereits etablierten und wachstumsstarken PC-Markt geschafft, sich als Direktanbieter einen Namen zu machen und das noch jungen Internet als seinen Hauptvertriebskanal zu nutzen. Die Story eines Direktvermarkters mit hohen Margen dank schlanker Vertriebskosten per Online-Versand ging am Kapitalmarkt auch auf. Stimmte so aber damals schon nicht.
1995: Dell zeichnet Partner aus und sucht neue
Braun zeigt die Dell-Urkunde, die Cema zum VAR des Jahres 1995 auszeichnete. Unterschrieben vom damaligen Dell-Deutschland-Vertriebsleiter Achim Berg, übergeben an Gründer Thomas Steckenborn von Michael Dell höchstpersönlich. "Cema verkaufte Dell-PCs, weil sie fertig komplett assembliert waren und nicht wie bei HP zusammengeschraubt werden mussten", erinnert sich Braun. Auf die Beratungskompetenz der Cema war Dell auch bei Servern damals noch angewiesen, bei Speichersystemen sowieso. Das Geschäft über die Cema und andere Systemhäuser wie Sysdat, Systematics oder Martin Hörhammers heutige Medialine florierte.
So gut, dass Dell in der Erstausgabe der deutschen CRN vom 6.März 1995 auf Seite 13 eine ganzseitige Anzeige schaltete, um neue Partner zu werben. "Nur wer loyal mit uns zusammenarbeitet, wird dann auch wirklich unser Partner", so Dell zu "keine einfache Sache mit der Partnerwahl auch im Geschäftsleben".
Dell-Direktvertrieb kommt Partnern in die Quere
Loyalität im Vertrieb ist indes ein fragiler Wert, so brüchig wie Innovationen alte Technologien wegfegen, durch neue ersetzen und mit ihnen auch Vertriebswege. Um die Jahrtausendwende baute Dell in Langenau ein Direktvertriebsteam auf. "Die kamen uns in die Quere", so Braun. Doch Cema reagierte und bekam schnell mit, dass Dells-Truppe bei komplexeren Datacenter-Infrastrukturen die Hilfe von Partnern benötigte. "Wir verbündeten uns, hatten sogar zwei Cema-Mitarbeiter bei Dell in Langenau sitzen, so dass wir für Dell in deren Namen Projekte bei Endkunden realisierten". Auch so geht Channel-Geschäft. Es wehrte aber nicht lange.
Eskalationsgespräch - IBM springt ein
2003 wurde Alain Bandle Managing Director bei Dell, kurze Zeit später Chef der deutschen und österreichischen Landesgesellschaft. "Er war absolut gegen das Partnergeschäft", erinnert sich Rolf Braun. Die Folge: Dell schlug direkt bei Cema-Kunden auf. Im Eskalationsgespräch entschuldigte sich Bandle, beteuerte das "Versehen" und versicherte, es werde nicht mehr vorkommen. Warum ein Hersteller ein Partnergeschäft selbst vereinnahmt, wo doch keine Marktanteile auf Kosten ausgestochener Wettbewerber hinzugewonnen werden, leuchtet Braun bis heute nicht ein. Doch Bandle zog seine Linie durch, dachte nicht daran, seinen Direktvertrieb an die Kette zu legen. Wochen später wiederholte sich das dreiste Spiel und Dell ging weiter Cema-Kunden an.
Die inkonsistente Vertriebsstrategie von Dell führte zum Bruch - mit Cema und vielen anderen Partnern auch. IBM nutzte das aus und legte ein Partnerprogramm auf. Cema wechselte zu Big Blue. "In kürzester Zeit haben wir alle Kunden auf IBM umgestellt", so Braun.
Seite 2: Dell wird offiziell Channel-Company ...
"Ich habe eine tiefe Dell-Seele"
Das war nicht immer so, verrät Netgo-Manager Rolf Braun, Dell-Partner der ersten Stunde, im CRN-Gespräch. Über Grauschattierungen im spannungsgeladenen Vertrieb zwischen Direkt- und Partnergeschäft, brüchige Loyalitäten im Channel und dreiste Manager.

Dell zerstörte Vertrauen im Channel, verlor auch viel Geschäft, weil Partner der aufreibenden Konflikte mit dem Directsales überdrüssig waren. Das blieb Michael Dell freilich nicht verborgen. PCs und Server wurden zum Massengeschäft mit immer weiter fallenden Margen. Storage, Netzwerk und sonstige Infrastruktur für Datacenter blieben indes beratungsintensiv. Und solche Projekte in heterogenen IT-Umgebungen konnten herstellerunabhängige Systemhäuser besser stemmen als Dell selbst. So also die Wende, genauer: die offizielle Ankündigung von CEO Michael Dell, man wende sich nun den indirekten Partnern zu. Die eher lockere Bande zu Partnern, wurde nun in ein Partnerprogramm gegossen, die Distribution später einbezogen. Dell wird, nicht sofort, aber nach und nach eine Channel-Company. Und es wird nachgebessert - bis heute, wie die jüngste Ankündigung zeigt, mehr Gelder in den Direktvertrieb für Storage zu investieren, wenn zwischen Hersteller und Endkunden ein Partner dazwischengeschaltet wird.
Im Channel gilt: Menschen vertrauen Menschen
Cema wechselte übrigens einige Jahre später von IBM wieder zu Dell. Für die Rückkehr sorgten nicht zuletzt Channel-Manager im deutschen Markt, die Dell von IBM abgeworben hatte, bzw. die dezidiert für einen Channelvertrieb standen und die das Vertrauen der Partner hatten. Doris Albiez, Robert Laurim, Jürgen Renz, Karl-Heinz-Warum, um nur einige zu nennen. Mit Warum ist Cema-Gründer Thomas "Tom" Steckenborn freundschaftlich verbunden. Beide teilen die Leidenschaft für den Motorsport, schnelle Autos und Motorräder.
Direktvertriebsmann Alain Bandle hatte da Dell schon verlassen (2009) - nach rund fünf Jahren im Konzern.
"Nach der Rückkehr der Cema zu Dell explodierte das Geschäft", zieht Rolf Braun Bilanz. Cema gehört seit 2021 zur stark expandierenden Netgo-Gruppe, Braun ist Managing Director der Netgo E-Services und leitet Netgo Nord. Er ist auch Sprecher des deutschen Dell-Partnerbeirats und kann mittlerweile offen und ehrlich sagen, trotz aller Wendemanöver dieses Technologieriesen: "Ich habe eine tiefe Dell-Seele".