KI und Schule – Die nächste Schockwelle
Googeln war ein Schock, Wikipedia auch. Nun verlässt die erste Schülergeneration mit KI-Kompetenz die Schule. Ihre KI-Fähigkeiten haben sie im Unterricht meist nicht vermittelt bekommen. Konzepte und Regeln zur KI-Nutzung fehlen an vielen Schulen. Verunsicherte Lehrkörper zeigen sich orientierungslos.
Zeugnisvergabe bei einer Schulfeier, das ist bisweilen auch eine Abrechnung. Man kann sich am Lehrkörper rächen oder überhaupt der Institution Schule den Spiegel vorhalten, die vorgibt, da zu sein, damit junge Menschen für das Leben lernen. Ist dem so?
Papa Alexander Marx hat diesen Augenblick im Bild festgehalten, als Sohn Noah verabschiedet wurde. Sein T-Shirt sorgte für Lacher, man sah aber auch in versteinerte Gesichter einiger Lehrer und Lehrerinnen. Noahs demonstrativer Dank an ChatGPT zeigt vor allem eines: KI ist bei Schülern und Schülerinnen längst angekommen, was man von Schulen generell nicht sagen kann.
"Was das Know-how und die Haltung der Lehrkräfte zu KI betrifft, hatte ich leider das Gefühl, dass eine ziemliche Überforderung herrschte", sagt Alexander Marx. Unwissenheit, mangelnde Orientierung und fehlende klare Vorgaben sieht er als Ursachen der mit KI überforderten Lehrer und Lehrerinnen.
Der historische Moment im Leben von Eltern, der zudem eine historische Zäsur für Bildungseinrichtungen ist, weil 2025 die erste Schülergeneration mit umfassender KI-Erfahrung die Schulen verlässt, hat Alexander Marx sehr nachdenklich gemacht. Marx arbeitet seit 25 Jahren in der Marketing- und Kommunikationsbranche. KI-Tols gehören mittlerweile zum Handwerkszeug in diesem Gewerbe. Deutsche Schulen sieht er nicht gut vorbereitet auf die Jahrhundert-Innovation.
Wie so viele Unternehmen auch, könnte man einräumen. Doch KI setzt Schule noch einmal einem ganz besonderen Druck aus. Internet, Google-Suche und Wikipedia haben Wissen demokratisiert. Diese "Schocks waren von ähnlicher Natur und es lässt sich rückblickend sagen, dass diese Phänomene zwar vieles verändert haben, aber keinesfalls große Umwälzungen zur Folge hatten", so das Fazit der Lehrergewerkschaft GEW im Schwerpunktthema "Künstliche Intelligenz in der Schule" in der Berliner Bildungszeitschrift, Ausgabe März/April 2025. Offenbar sehen die Autoren der KI-Zukunft mit heiterer Gelassenheit entgegen. Wird schon nicht so heißt gegessen wie gekocht, vertrauen viele Pädagogen auf bewährte Beschulungskonzepte.
Laut einer Umfrage des Digitalverbands Bitkom hat nur knapp ein Viertel der weiterführenden Schulen in Deutschland zentrale KI-Regeln aufgestellt. 35 Prozent überlassen es Lehrkräften, solche Regeln individuell zu bestimmen. 27 Prozent der Schulen haben noch gar keinen Umgang mit KI festgelegt. "Die Frage ist längst nicht mehr, ob KI in der Schule Einzug hält, sondern wie wir das Lernen mit ihr gestalten. Klare Regeln schaffen hier wichtige Orientierung für Lehrkräfte wie Schülerschaft gleichermaßen", sagt Bitkom-Präsident Ralf Wintergerst.
Schülerinnen und Schüler sind längst weiter als ihre Lehrer. 8 von10 würden sich laut Bitkom wünschen, dass Schule die Nutzung von KI-Anwendungen im Unterricht behandelt. Nur rund die Hälfte tut das bereits.
Schule ist längst nicht mehr der Ort exklusiver Wissensvermittlung. Dass wissen Lehrer, die sich mit KI auf den Unterricht vorbereiten. Jene, die KI nicht selbst nutzen, merken oft nicht, wenn Schüler ihre Hausaufgaben oder Referate KI-Tools erledigen lassen. 46 Prozent der vom Bitkom befragten Schülerinnen und Schüler geben an, dass ihre Lehrkräfte einen unerlaubten KI-Einsatz nicht merken würden. Das zeige, "wie wichtig Fort- und Weiterbildungen zu aktuellen Digitalthemen sind", sagt der Bitkom-Chef.
Noah wie vermutlich die meisten seiner Mitschüler habe KI vor allem zur Vorbereitung, für Referate und Hausaufgaben genutzt. "Klausuren wurden natürlich ohne KI in der Schule absolviert", erklärt Papa Alexander.
Quellenherkunft, Quellenkritik, Einordnung der Inhalte: Das alles dürften für Schüler und Schulen keine neuen Regeln sein. Vermittlung von Medienkompetenz steht schon lange auf dem Lehrplan. Warum also das Missfallen einiger Lehrer über die KI-Nutzung, wenn Noah selbstbewusst seinen souveränen Umgang mit ihr demonstrativ zeigt? In jedem Beruf, den er ergreifen wird, wird ihm seine KI-Kompetenz weiterhelfen – auch und erst recht, sollte Noah Lehrer werden wollen.
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