KI im Channel: "Früher haben wir den Hammer verkauft, heute den Handwerker"

Im Rahmen einer Paneldiskussion auf der CRN XChange Deutschland 2025 gewährten die Verantwortlichen von Bechtle, Cancom und Medialine spannende Einblicke, wie grundlegend KI schon heute den Alltag ihrer Systemhäuser verändert, bei welchen Kunden die Nachfrage besonders groß ist und auf welche Entwicklungen sie sich für die nächsten Jahre einstellen.

Martin Fryba (CRN), Stefan Hörhammer (COO Medialine Gruppe), Rüdiger Rath (CEO Cancom) und Michael Guschlbauer (COO und Mitglied des Vorstands Bechtle AG) bei der Panel-Diskussion auf der CRN XChange Deutschland (Foto: Lars Bube)

Auf der CRN XChange Deutschland 2025 war KI eines der bestimmenden Themen. Die anwesenden Fachbesucher tauschten sich in den Boardrooms, Diskussionsrunden und beim Netzwerken eifrig über entsprechende Technologien, Lösungen, Produkte, Projekte und ihren Einfluss auf das Geschäft aus. Während der Grundtenor bei den meisten Besuchern eindeutig war, dass an KI kein Weg vorbeiführt, zeigten sich jedoch große Unterschiede bei den Erwartungen und Einschätzungen, wie das die IT-Welt im Detail verändern wird und welchen Herausforderungen und Veränderungen sich Dienstleister dafür stellen müssen. Dementsprechend aufmerksam lauschten die Anwesenden der Panel-Diskussion "KI im Channel", in der mit Cancom-CEO Rüdiger Rath, Bechtle-Vorstand Michael Guschlbauer und Medialine-COO Stefan Hörhammer drei hochrangige Vertreter großer Systemhäuser auf der Bühne über ihre Erfahrungen sprachen und eine wertvolle strategische Einordnung lieferten.

Trotz manch skeptischer Betrachtung waren sie sich dabei einig, dass KI gekommen ist, um zu bleiben und für sie eindeutig eine echte Revolution ist, und nicht nur eine weitere technologische Evolution. "Was ist anders? Eigentlich ist alles anders", brachte Michael Guschlbauer, Vorstand und COO von Bechtle, direkt auf den Punkt, dass KI eine völlig andere Herangehensweise benötigt als bisherige Innovationswellen wie etwa der PC-Boom oder der Einzug von Application Service Providing und Cloud-Computing. "Bisher haben wir meist über einen kontinuierlichen Wandel gesprochen, es gab eine kontinuierliche Verbesserung von Technologie. Cloud war nichts anderes wie die Rezentralisierung von IT, man kannte viele Mechanismen eigentlich aus der Vergangenheit", fasste Guschlbauer zusammen.

KI stellt das Channel-Geschäft auf den Kopf

Im Gegensatz zu solchen aufeinander aufbauenden Entwicklungen erlebe Bechtle KI vielmehr als einen "diskontinuierlichen Wandel, weil das in vielen Geschäftsmodellen alles auf den Kopf stellt". Und das ist in der Praxis durchaus wörtlich zu nehmen, wie er darlegte: "Wenn wir heute die Infrastruktur planen, planen wir die nicht mehr von unten nach oben, also von der Infrastruktur zu Applikationen, sondern wir müssen konsequent von den Prozessen über die Applikation in die Infrastruktur denken." Er rechnet damit, dass sich diese neue Herangehensweise mit der zunehmenden Durchdringung der IT durch KI noch weiter verstärken wird. "Und ich glaube auch, dass wir da einen ziemlich schnellen Sprung machen werden von der eher generellen AI, über die wir heute sprechen in sehr branchenspezifische AI."

Wie sehr sich KI aus Sicht von Bechtle von den bisherigen Evolutionen unterscheidet, zeigt sich auch daran, dass das Unternehmen für seine Verhältnisse ungewöhnlich früh eingestiegen ist. "Anders wie normalerweise. Das stimmt, weil wir normalerweise eigentlich immer warten, bis der Zug ins Rollen kommt, und dann gehen wir rein", bestätigte Guschlbauer. In solchen diskontinuierlichen Veränderungsprozessen sei es entscheidend, früh zu lernen und das Unternehmen darauf einzustellen. Sonst könnte man den richtigen Zeitpunkt dafür sehr schnell verpassen, ist er sich sicher. "Dort haben wir gesagt, wir gehen da ganz frühzeitig rein, um einfach die Lerneffekte mitzunehmen. Und es hat uns sowohl intern als auch in der Beratung unserer Kunden sehr geholfen, Dinge früh zu verstehen, besser zu verstehen und dann auch die richtigen Aktionen aufzusetzen."

Ähnlich disruptiv erlebt auch Rüdiger Rath als Cancom-CEO die Auswirkungen der neuen Technologie auf sein Haus und dessen Kunden und Geschäftsmodell. Und das, obwohl ihm, ähnlich wie vielen Unternehmenskunden, bisher noch immer eine Art iPhone-Moment fehlt, mit dem sich die Unbedingtheit der neuen Technologie greifbar in voller Breite und Tiefe offenbart. "Ich warte auch immer noch auf die Killerapp. Ich glaube, da warten alle drauf", fasste er die oft noch etwas diffuse Spannung in der Branche zusammen. Doch selbst ohne eine solche Killer-App registriert auch er schon jetzt einen radikalen Wandel der Geschäftsmodelle durch die KI und ihre Möglichkeiten, den er mit einem eingängigen Bild beschreibt: "Wir haben vorher einen besseren Hammer verkauft, also passive Werkzeuge. Jetzt verkaufen wir einen Handwerker."

Etwas anders formulierte diesen Gedanken der COO der Medialine Gruppe, Stefan Hörhammer. Er sieht KI als ideales Mittel, um die von ihm beobachtete Verschiebung des Fokus der Kunden vom Prozess auf das Ergebnis hin zu unterstützen. "Ich glaube, das ist eine neue Sache, die wir in den letzten vielleicht zwei Jahrzehnten gelernt haben, dass diese Technik-Verliebtheit, die uns als Branche ein Stück weit anhängt, nicht mehr so durchschlägt bei den Kunden", so Hörhammer. Damit einhergehend würden die spezifische Technologie und der Hersteller für den Kunden immer unwichtiger. "Wir hatten einen Bundeskanzler, der immer gesagt hat, wichtig ist, was hinten rauskommt", erinnerte er an Helmut Kohl. "Und am Ende des Tages geht es genau darum. Ich glaube, das Ergebnis zu verkaufen, das ist die Zukunft. Und KI ist für mich primär ein Vehikel, um das besser und schneller zu machen."

"Die meisten mittelständischen Unternehmen heute suchen nach einem ROI, der ganz kurzfristig wirkt." Michael Guschlbauer, COO, Bechtle (Foto: Lars Bube)

KI im Systemhausgeschäft: Von Jugend Forscht zum Business Case

Doch was ist abseits solcher mehr oder weniger fernen Zukunftsaussichten heute schon Realität? Sind es nur die vielbeschworenen Tests und Evaluierungen, oder gibt es auch schon konkrete Ansätze und vor allem Projekte und Geschäfte? Und wenn ja, wie sieht der Weg dorthin aus? Als wichtige Basis für diese Fragestellungen dient den Systemhausverantwortlichen die eigene Erfahrung. Sie alle haben bereits früh damit angefangen, sich mit KI auseinanderzusetzen und dabei schnell gelernt – auch, dass es nicht unbedingt sinnvoll ist, KI nach dem Schrotflintenprinzip überall einzusetzen, wo es möglich ist.

"Wir finden jeden Tag irgendwelche neuen Use Cases, die aber immer wieder verifiziert werden wollen, weil wir eben auch die Erfahrung gemacht haben, dass da eine riesige Spielwiese entsteht, auf der sich alle austoben wollen. Und da verzettelt man sich auch ganz leicht, weil auch wir haben begrenzte Ressourcen, die das dann entsprechend umsetzen können", fasste Guschlbauer die Erfahrungen der Anfangszeit zusammen, in der bei Bechtle zunächst auch zahlreiche "nicht so sehr sinnvolle" KI-Projekte entstanden. Er empfiehlt deshalb, die Projekte und ihre Erfolgschancen sehr genau zu verifizieren. "Wir machen inzwischen bei jedem Use Case einen Business Case dahinter. Und erst wenn der sich rechnet, fangen wir an zu entwickeln."

Diese Erfahrungen machte auch die Cancom, die durch die Akquisition der im Bereich KI bereits mit viel Erfahrung und Knowhow ausgestatteten österreichischen K-Businesscom (ehemals Kapsch BusinessCom) einen kleinen Startvorsprung hatte. "Wir haben auch viel Jugend forscht betrieben, über die gesamte Organisation. Ich weiß nicht, wie viele AI-Adviser plötzlich aufgetaucht sind und irgendwie mitmachen wollten", berichtete Rath. "Um das ein bisschen einzudampfen, haben wir die gleichen Regelungen getroffen, wo wir gesagt haben: okay, das muss definitiv KPI basiert sein. Und daran entwickelten wir dann auch den ROI." Ein Fokus, der letztendlich auch eine direkte Vorbereitung für die späteren Kundengespräche ist, wie er weiter ausführte: "Es geht ja nicht darum, jetzt die Token Geschwindigkeit zu messen oder die Terraflops zu messen, sondern es geht darum: Was habe ich für einen Outcome für den Kunden, wo kann ich tatsächlich meine KPIs steigern?"

Große Unterschiede beim KI-Einsatz nach Branchen und Unternehmensgröße

Auch wenn derzeit noch viel getestet werde, berichteten alle drei Systemhaus-Verantwortlichen, dass es auch schon konkrete Projekte und Umsetzungen gebe. Sei es intern, wo Bechtle die KI etwa in der Ausschreibungsbearbeitung und Logistik nutzt und zudem ein eigenes Bechtle-GPT entwickelt hat, das in Verbindung mit Copilot-Research Antworten in Verbindung mit dem eigenen Portfolio geben kann. Oder auch extern bei den Kunden, wenn auch derzeit noch mit großen Unterschieden hinsichtlich der Unternehmensgröße und der Branchen. Besonders aktiv ist demnach etwa die Versicherungsbranche. "Ich glaube nicht, dass es heute noch viele Menschen gibt, die hintendran Schaden beurteilen, die Eintrittswahrscheinlichkeit auf dem Vertrag prüfen und letztendlich schauen, welche Vergütung derjenige bekommt", bestätigte Rath, dessen Haus bereits entsprechende KI-Projekte begleitet hat. Als drastisches Gegenbeispiel nannte er die Baubranche. "Ich glaube, jeder von uns ist auch oftmals leidtragender, wenn er über die Autobahn fährt. Da wünschte ich mir doch manchmal, dass da der Verkehrsfluss im Vorfeld intelligent geplant und gelenkt würde." Immerhin seien die Daten dafür bereits vorhanden, nur müssten sie eben auch genutzt werden.

Hinsichtlich der Größe beobachten die Manager gerade im Mittelstand noch eine große Skepsis und ein Abwarten. "Wir haben die Erfahrung im Mittelstand und dort ist es tatsächlich so: Es wird unheimlich viel über Use Cases diskutiert und dann in der Folge immer über den ROI. Und aktuell ist es eben so, dass vor allem im Mittelstand der Mut fehlt, Use Cases umzusetzen, ohne kurzfristigen ROI – und mit kurzfristig meine ich 12 bis 18 Monate", führte Guschlbauer aus. Das sei allerdinge in den seltensten Fällen tatsächlich der Fall. Insofern bleibt das Potenzial für KI im Mittelstand gewaltig. Um das zu heben, braucht es nach Guschlbauers Ansicht aber deutlich mehr als gute Verkaufsargumente: "Der Knoten wird sich aber aus meiner Sicht erst lösen, wenn wir über eine andere ökonomische Situation sprechen als die jetzige."

Mit die größten Chancen sieht Stefan Hörhammer im Healthcare-Bereich "gerade in der Diagnostik, gerade da, wo es um Automatisierung geht, wo Pflegepersonal fehlt". Er weist darauf hin, dass es bei allen Ängsten und Diskussionen um Arbeitsplatzabbau durch KI in diesem Bereich schlichtweg einen wohl nicht anders zu behebenden Mangel gebe. "Natürlich ist das kein tolles Thema, aber Pflegepersonal ist ja eines der heißen Dinge, die wir, glaube ich, in den nächsten 10 bis 20 Jahren als großes gesellschaftliches Problem kriegen." Allerdings ist es gerade in diesem Bereich schwierig, Ansatzpunkte zu finden. Das liegt einerseits an der grundsätzlich vorsichtigen Art der Branche, wie Hörhammer mit einem Beispiel verdeutlichte: "Ich habe letztens ein Gespräch gehabt mit einem Arzt, der hat mir gesagt, bevor die Patientendaten irgendwo hingehen, stirbt er eher."

Noch problematischer sind aus seiner Sicht jedoch die extrem hohen regulatorischen Bedingungen. Hier weist er darauf hin, dass die komplette Ablehnung der KI am Ende erst zu einem gefährlichen Wildwuchs führen könnte. "Wenn wir ganz ehrlich sind, dann passieren dort heute ja schon ganz viele Sachen in einer Grauzone. Die Ärzte, die heute von der Uni kommen, die können alle auch ChatGPT benutzen. Da werden glaube ich auch Sachen genutzt und Daten in der Welt rumgeschickt, wo das eigentlich nicht der Fall sein sollte. Und da ist unsere Aufgabe Lösungen zu gestalten, damit das in souveränen Umgebungen möglich wird. Und natürlich auch einen ROI hintendran nachzuweisen und aufzubereiten."

"Es gibt viel Testing, ja. Operative Umsetzung gibt es aber auch schon. Aber ich glaube, das sind eher Enterprise-Unternehmen und nicht der Mittelstand." Rüdiger Rath, CEO, Cancom (Foto: Lars Bube)

Wenn Berater sich selbst durch KI ersetzen

Ein weiterer wesentlicher Hinderungsgrund für KI ist auch die derzeit noch äußerst herausfordernde Energiebilanz. "Energie ist schon ein Riesenthema. Und tatsächlich ist es ja so, dass man gerade bei mittelständischen Kunden in eher ländlichen Bereichen, auch noch ganz andere Herausforderungen hat. Da geht es dann auch darum, die überhaupt zu bekommen. Kosten ist hier also ein Thema, Machbarkeit ein anderes", konkretisierte Hörhammer. Zudem beobachten alle drei mit Sorge, wie einige große Anbieter und auch Kunden aufgrund der angespannten wirtschaftlichen Lage ihre Nachhaltigkeitsziele streichen. Ein Trend, dem entgegenzusteuern Hörhammer auch als Aufgabe der Dienstleister sieht. Sowohl im Sinne der Umwelt, als auch der Kunden selbst. "Ich glaube tatsächlich, dass auch unsere Aufgabe sein muss, im Gesamtbezug diesen Nachhaltigkeitsaspekt nicht aus den Augen zu verlieren. Und bei den Kunden, auch wenn sie den wirtschaftlichen Druck haben, ganz klipp und klar aufzuzeigen, dass nur in einer nachhaltigen Umsetzung auch ein langfristig erfolgreiches und skalierbares Konzept liegt. Weil das ist ja auch ein Thema, also eine ad hoc Lösung, die dann nicht skaliert. Gerade im Bereich Datacenter. Das ist natürlich der Worst Case."

Letztendlich sehen die drei Manager trotz aller Skepsis und Hindernisse großartige Chancen auf den Channel zukommen. Künftig wird KI nach ihrem Dafürhalten das komplette Geschäft mit beeinflussen. "Wenn wir Netzwerkmanagement machen, dann werden wir das mit Unterstützung von KI tun. Wenn wir Architekturen wie Multi-Cloud-Architekturen bauen, dann werden wir das mit Unterstützung von KI tun, und dann wird da KI eingebaut sein. Und wenn wir dann ein Notebook verkaufen, wird wahrscheinlich ein KI-Chip drin sein, weil es damit On-Prem geht", prognostizierte Guschlbauer. Aufgrund dieser zunehmenden Integration und Vermischung sei es auch zunehmend schwierig, den KI-Umsatz für sich genommen zu beziffern. Dennoch glaubt auch er, dass es auch künftig noch genügend andere Themen und Aufgaben geben wird: "Ja, wahrscheinlich wird alles KI sein. Aber ich glaube nicht, dass sich jedes Beratungsgespräch um KI im Grundsatz handelt."

Rath, der diese Vermengung mit dem Bild eines Kuchens beschreibt, in dem KI die Hefe sei, die das ganze Gebilde zum Aufgehen bringe, rechnet gleichzeitig damit, dass das Beratungsgeschäft selbst künftig möglicherweise in Teilen von KI erledigt werde. Diese Aussicht macht ihm jedoch angesichts der vielfältigen Kompetenzen eines Systemhauses keine Sorge. "Diese klassischen System-Integrationsfähigkeiten, die Tools von unterschiedlichsten Herstellern miteinander zu kombinieren, und das sicher zu betreiben als MSP. Die ganzen Rahmenbedingungen zu kennen, also die regulatorischen Rahmenbedingungen in unterschiedlichen Branchen und die Anforderungen des Kunden. Und vielleicht auch die Umsetzung der tazitiven Fähigkeiten oder Erfahrungsschatz 'Ja, ist der Kunde so drauf oder ist er so drauf', und das mit einfließen zu lassen. Ich glaube schon, dass das dazu führen wird, dass wir Umsatzsprünge erleben werden. Aber ich glaube weniger in der Dienstleistung."

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