Ampel-Regierung schuld an Digital-Wüste Deutschland? INSM "entlarvt" sich - einmal mehr - selbst
Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM), der Name allein ist perfide genug. Ihre Kampagnen gegen Grüne und Sozis sind umstritten. Die von der Wirtschaft getragene Lobby arbeitet mit fragwürdigen Methoden, wie sich erneut an ihrer Kritik der Ampelkoalition bei der schleppenden Digitalisierung von Behörden zeigt.
INSM nützt jede Gelegenheit, um die Ampel-Regierung für jeden Mangel der deutschen Infrastruktur verantwortlich zu machen. Neuster Vorwurf: Versagen, Deutschlands Verwaltung digitaler zu machen. Die Ampel, so der Vorwurf, habe als "Fortschrittskoalition" das Ziel ausgegeben, definierte Behördengänge für die Bürger per Internet zugänglich zu machen. Stand heute seien "nur 153 der geplanten 575 öffentlichen Serviceangebote bundesweit online verfügbar", beruft sich INSM auf einen "Behörden-Digimeter", ein regelmäßiges Monitoring der digitalen Verwaltungsdienstleistungen durch das Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) im Auftrag der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM). "Gerade einmal 48 Serviceangebote mehr als Ende 2022 sind digital verfügbar. Damit erfüllen Bund und Länder lediglich etwa 27 Prozent des bereits für Ende 2022 angestrebten Ziels", schreibt INSM in einer aktuellen Pressemitteilung.
INSM-Geschäftsführer Thorsten Alsleben: "Deutschland bleibt digitales Entwicklungsland. Das Versagen bei der Transformation zu einer digitalen Verwaltung ist ein zunehmendes Standortrisiko. Unternehmen und Fachkräfte aus dem Ausland sind anderes gewohnt und empfinden die analoge deutsche Verwaltung als abschreckend." Für Alsleben ist der Schuldige an der bundesdeutschen Digital-Wüste schnell ausgemacht: Die Regierungskoalition in Berlin. Das passt zwar zur grundlegenden Haltung von Alsleben und seiner INSM, ist aber eine arge Verzerrung der Realität.
Fakt ist vielmehr, dass die Ampel das Onlinezugangsgesetz (OZG) von den vormaligen Regierungen der großen Koalition "geerbt" hatte. Das OZG wurde bereits 2017 beschlossen, mit der Auflage, dass 575 behördliche Gänge bis Ende 2022 digitalisiert werden sollten. Das Ziel wurde krachend verfehlt, wofür man die Ampelregierung, die Ende 2021 die Arbeit aufnahm, freilich nicht als Hauptschuldigen zur Rechenschaft ziehen kann, wie es die INSM in ihrer jüngsten Pressemitteilung vom 7. Februar 2024 aber nahelegt.
Föderale Zuständigkeiten - keine Ampel-Aufgabe allein
In 12 Monaten die versäumte Digitalisierung der Verwaltung der letzten vier Jahre aufzuholen, dazu hätte es "Fortschrittskoalitionen" auch in den Bundesländern gebraucht: in den CDU geführten Koalitionen und vor allem in Bayern, wo die CSU und die Freien Wähler die Regierung stellen. Denn der Bund teilt sich die Verantwortung für viele Regelungen und Umsetzungen digitaler Verwaltungsgänge mit den Ländern und teils auch mit Kommunen.
Die digitale Verwaltung ist also eine Aufgabe für alle staatlichen Behörden, obliegt nicht der Ampel in Berlin allein. Das gibt die INMS auch unumwunden zu, wenn sie schreibt, dass das SPD-regierte Hamburg Bayern als digital führendes Land unter den Bundesländern abgelöst hat. Im Stadtstaat sind 253 von 575 Behördengänge digitalisiert. Schlusslichter sind das Saarland (SPD) und Sachsen-Anhalt mit aktuell jeweils 164 Online-Leistungen. In Sachsen-Anhalt regiert die CDU in einer Koalition mit SPD und FDP, also eine Deutschland-Koalition.
Wenn die INSM schon von einer Digital-Wüste Deutschland spricht, dürfen sich also alle Parteien in Regierungsverantwortung angesprochen fühlen, nicht nur die Ampel-Koalition im Bund. Doch so viel Differenzierung passt INSM-Geschäftsführer Alsleben freilich nicht ins Konzept.
Die INSM ist seit ihrer Gründung im Jahr 2000 ein Sprachrohr der Arbeitgeberverbände. Allein der Name, Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft, macht die Richtung klar: Abkehr von der Sozialen Marktwirtschaft, wie sie der damalige Wirtschaftsminister und späterer Bundeskanzler Ludwig Erhard in den 50er/60er Jahren in der Bundesrepublik etabliert hatte. "Neue" Soziale Marktwirtschaft heißt für die auch in Wirtschaftskreisen mit ihren umstrittenen Kampagnen auftretenden INSM vor allem eines: "Propaganda für die Welt von vorgestern" (siehe Spiegel).